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Agnes Bidmon zur ESC-Debatte: Chance für Tirol?

  • 30.07.2025
  • Allgemein
Agnes Bidmon, Professorin (FH) für Kulturmanagement & Kulturwissenschaften
© FH Kufstein Tirol

Prof. (FH) PD Dr. Agnes Bidmon, FH Kufstein Tirol, kommentiert die Diskussion rund um die Bewerbung Innsbrucks für den ESC 2026.

Der Eurovision Song Contest 2026 wird in Österreich stattfinden – entweder in Innsbruck oder Wien. Die Diskussion um die Tiroler Bewerbung sorgt für hitzige Debatten. Prof. (FH) PD Dr. Agnes Bidmon von der FH Kufstein Tirol beleuchtet die Debatte in einem Kommentar.

Nach dem Sieg von JJ beim Eurovision Song Contest 2025 steht fest: Der ESC wird 2026 in Österreich stattfinden. Aktuell sind noch Innsbruck und Wien im Rennen um die Austragung – die Entscheidung trifft der ORF Mitte August. In Tirol wird die Bewerbung intensiv und teils emotional diskutiert.

Prof. (FH) PD Dr. Agnes Bidmon, Professorin für Kulturmanagement & Kulturwissenschaften an der FH Kufstein Tirol, war vor Kurzem zu einer Diskussionsveranstaltung im ORF-Landesstudio Tirol eingeladen. Im Rahmen der Reihe Ein Ort am Wort tauschte sie sich mit Vertreter:innen aus Politik, Tourismus und Zivilgesellschaft aus. Nun hat sie einen Kommentar zur Thematik verfasst.

Kommentar von Agnes Bidmon

Ob Innsbruck ein geeigneter Austragungsort für den ESC 2026 wäre, wird seit dem Sieg von JJ in Basel im Mai kontrovers diskutiert. Nachdem damit feststeht, dass der nächste Eurovision Song Contest in Österreich stattfinden wird, entbrannte vor allem in Tirol eine hitzige Debatte über Chancen, Herausforderungen und Grundsatzfragen rund um die Bewerbung.

Von einigen Kritikern werden die hohen Kosten ins Feld geführt, die solch ein Event für Innsbruck und Tirol bedeuten würden, insbesondere nachdem das Land Tirol lediglich eine ideelle Förderung zugesagt hat. Die Befürworter der Austragung halten dagegen, dass eine enorme Wertschöpfung für die Region mit der Durchführung der Veranstaltung verbunden wäre, und auch eine jüngst in Auftrag gegebene Studie des ORF kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. In diese Richtung argumentieren auch die Vertreter:innen der Tourismus-Branche, die neben der erwarteten finanziellen Wertschöpfung durch das Event selbst die Möglichkeit einer exponierten Präsentation der Region Tirol und damit auch den nachhaltigen Werbewert der Veranstaltung unterstreichen, der Menschen aus dem internationalen Kontext dazu veranlassen kann, die Region auch nach dem ESC zu besuchen. Die internationale Strahlkraft der Veranstaltung könnte folglich eindeutig als Pull-Faktor dienen, der Tirol als Urlaubsregion noch attraktiver macht. 

Die Befürchtung, dass dies in einer Region, die ohnehin schon mit Phänomenen wie Overtourism kämpft, kontraproduktiv sein könnte – wie von einigen Skeptikern angemahnt –, könne laut der Touristik-Branche dadurch entkräftet werden, dass der ESC im Mai stattfindet und damit an einer günstigen Schnittstelle zwischen Winter- und Sommertourismus, in der ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen und die Hotellerie der Region Innsbruck die zu erwartenden (und zum Teil auch bereits angefragten) Übernachtungszahlen gut bewältigen kann. Als weiterer Vorteil wird außerdem genannt, dass mit dem Eurovision Song Contest erstmals ein Kulturevent dieser Größe in Innsbruck stattfinden würde und damit das bislang nahezu ausschließlich als Sportregion bekannte Bundesland auch auf der kulturellen Landkarte aufschiene, woraus sich neue Möglichkeiten im bislang noch unterrepräsentierten Kultursektor Tirols ergeben könnten – sei es die Ausrichtung großer Konzerte oder anderer Kulturveranstaltungen. Dies wäre gleichzeitig eine überfällige Gegenbewegung zu dem bisherigen automatischen Fokus auf Wien als einzig denkbarem Austragungsort für große Kulturevents und gäbe dem Kultursektor Tirols Aufschwung und Sichtbarkeit.

Diese wirtschaftspolitische Kontroverse wird jedoch noch flankiert von einer gesellschaftspolitischen Debatte, und diese ist – wie der ein oder andere Wortbeitrag von Akteur:innen des politischen Diskurses in den vergangenen Wochen zeigt – zweifellos die emotionalste und hitzigste von allen. Schließlich stellt sich gemeinsam mit der Frage, ob Innsbruck den ESC logistisch ausrichten könnte und finanziell ausrichten sollte, die Frage, ob Innsbruck den ESC ideell betrachtet auch ausrichten will. In kulturwissenschaftlicher Hinsicht ist diese Debatte deshalb besonders interessant, weil die divergierenden Positionen eng mit dem jeweiligen Kulturverständnis verknüpft sind, das die entsprechenden Akteur:innen für sich und die Region Tirol reklamieren. 

 

Der ESC in Innsbruck wäre ein starkes Bekenntnis Tirols für die Unverhandelbarkeit demokratischer Grundwerte

Prof. (FH) PD Dr. Agnes Bidmon

Professorin (FH) für Kulturmanagement & Kulturwissenschaften

Um einer möglichen Polarisierung entgegenzuwirken, lohnt vielleicht ein Blick in die Kulturgeschichte. Denn ursprünglich wurde der Eurovision Song Contest in den 1950er Jahren und damit in der Nachkriegszeit auch als Friedensprojekt ins Leben gerufen, um einen zerrütteten und verfeindeten Kontinent mit popkulturellen Mitteln einander wieder näher zu bringen und so einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten. Heute, 70 Jahre später, ist diese ursprüngliche Intention des ESC aktueller und relevanter denn je. Schließlich braucht Europa in einer Zeit, in der autoritäre Strömungen weltweit an Einfluss gewinnen, in der Meinungsfreiheit unter Druck gerät und in der Diversität zunehmend zur Zielscheibe politischer Rhetorik wird, mehr denn je starke, sichtbare Zeichen für seine gemeinsam geteilten Grundwerte. Der Eurovision Song Contest ist weit mehr als ein musikalischer Wettbewerb – er ist ein kulturelles Manifest für Freiheit, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Gleichzeitig wird mithilfe des ESC auch ein demokratischer Diskursraum geöffnet, in dem sich nicht nur über Musik, sondern auch über politisch und gesellschaftlich brisante Themen konstruktiv gestritten werden kann.

Innsbruck als Stadt im Herzen Europas, an der Schnittstelle zwischen Nord und Süd, Ost und West gelegen, erscheint prädestiniert, um diese Botschaft kraftvoll in die Welt zu tragen. Zugleich wäre die Ausrichtung des ESC in Innsbruck ein starkes Zeichen dafür, dass auch kleinere Städte Verantwortung für das europäische Projekt übernehmen und einen Beitrag zum Motto ‚Einheit in Vielfalt‘ leisten können. Denn während in Teilen der Welt wie etwa jüngst in den USA demokratische Institutionen und Praktiken unter Druck geraten, Minderheitenrechte beschnitten und kulturelle Ausdrucksformen zensiert werden, muss Europa ein klares Gegengewicht setzen und für seine Werte einstehen. Der ESC in Innsbruck wäre ein starkes Bekenntnis Tirols für die Unverhandelbarkeit demokratischer Grundwerte: Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und kulturelle Selbstbestimmung.

Zu diesem Wertekanon gehört auch das Thema Diversität, das im Übrigen nicht zuletzt durch den ESC-Erfolg von Conchita Wurst und damit dem Beitrag Österreichs im Jahr 2014 besonders intensiv mit dem ESC verknüpft ist und zu einer im kulturellen Mainstream überfälligen Sichtbarkeit für die Diversität unserer offenen, demokratischen Gesellschaft in Europa beigetragen hat. Der ESC lebt von Diversität – musikalisch, sprachlich, kulturell, geschlechtlich. Innsbruck könnte diese Vielfalt nicht nur feiern, sondern aktiv fördern: durch inklusive Veranstaltungen, barrierefreie Zugänge, queere Sichtbarkeit und die Einbindung marginalisierter Gruppen. In einer Welt, in der Vielfalt zunehmend als Bedrohung dargestellt wird, wäre der ESC in Innsbruck ein Fest der Unterschiedlichkeit – und ein Appell an die Kraft des Gemeinsamen.

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