DER VINYL-EFFEKT: KOMMT DAS ECHTE IM MARKETING WIEDER?
- 12.08.2025
- News Studiengang

Jo Schuttwolf im Interview mit Bert Neumeister über die Koexistenz von realen und KI-generierten Inhalten im Marketing.
Zwischen KI-Perfektion und menschlicher Authentizität: Werbetexter und Autor Jo Schuttwolf spricht mit Prof. Dr. Bert Neumeister über den Vinyl-Effekt – das wachsende Bedürfnis nach Echtheit und Unvollkommenheit – und darüber, warum gerade das im digitalen Marketing wieder an Bedeutung gewinnt.
In einer Welt, die sich rasant digitalisiert, wächst zugleich die Sehnsucht nach dem Unmittelbaren, nach Echtheit und nach Unvollkommenheit – der Vinyl-Effekt. Im Gespräch mit Prof. Dr. Bert Neumeister vom Studiengang Digital Marketing spricht Jo Schuttwolf – Werbetexter, Filmregisseur und Science-Fiction-Autor – über genau diesen Spannungsbogen: Zwischen KI-generierter Perfektion und menschlicher Intuition. Zwischen Zukunftsvisionen und dem Wunsch nach echtem Erleben. Ein Interview über Kreativität im Marketing – und die Frage, was in einer digitalen Welt überhaupt noch wirklich echt ist.
Erzähl uns bitte etwas über dich und deine Arbeit.
Jo Schuttwolf: Ich war bei den Agenturen GREY und OGILVY in Düsseldorf und habe dort als Copywriter mitgeholfen, Marken aufzubauen: Ford, Warner Brothers Movie World und Dove, um drei Beispiele zu nennen. Als eine Hochschule auf mich zukam und fragte, ob ich im Bereich Copywriting und Audiovisuelle Medien unterrichten könnte, führte mich das sozusagen back to the roots - ich wollte ja mal Lehrer werden. Seitdem unterrichte ich seit vielen Jahren mit Spaß an verschiedenen Hochschulen, unter anderem seit einem Jahr an der FH Kufstein Tirol im Vollzeitstudiengang Digital Marketing. Die Schriftstellerei hat sich dabei in letzter Zeit ergeben. Ein wunderbarer, freier Ausgleich zum strategisch-fokussierten Copywriting.
Was ist der Vinyl-Effekt und was hat das mit digitalem Marketing zu tun?
Schuttwolf: Mit Vinyl-Effekt könnte man die Sehnsucht nach dem Unmittelbaren, Einzigartigen, sinnlich Erfahrbaren - nach dem sogenannten Echten bezeichnen. Die Vinyl-Schallplatte, die ich kaufe, kratzt und knackt vielleicht etwas beim Hören, besonders, wenn sie älter ist. Sie ist wie die Seiten eines Buchs, die mit der Zeit etwas vergilben und für den Besitzer zu einer authentischen Erinnerung mit einem emotionalen Mehrwert werden. Das kann ein E-Book nicht. Die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen hat sicherlich ihre großen Vorteile und Faszination, aber sie ruft auch andere Ansätze auf den Plan. So gibt es zum Beispiel im Marketingbereich auf der einen Seite schon KI-generierte Influencer und auf der anderen Seite authentische, nutzer-generierte Inhalte: maximal künstlich vs. maximal echt.
Also eine Art Gegentrend zur zunehmenden Digitalisierung?
Schuttwolf: Ja genau. Analoges Fotografieren, gemeinsames Kochen, Brettspiele, DIY-Projekte, Outdoor-Aktivitäten, solche Dinge erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Der Mensch ist eben ein sinnliches Wesen, das auch riechen, schmecken und tasten will. Wobei man sagen muss, dass dieser Gegentrend auf dem Markt -verglichen mit dem Angebot digitaler Medien - ein Nischendasein innehat. Die Welt und so auch das Marketing wird immer stärker digital durchdrungen. Und irgendwann kann es sogar sein, das digitale Medien sinnliche Eindrücke komplett simulieren können. VR-Technologie, Anzüge mit Hautkontakt-Sensoren, neuronal implantierte Chips … da wird man authentisches Erleben neu definieren müssen. Mensch und Maschine fusionieren immer mehr. In nicht allzu ferner Zukunft wird die Cyborg-Technologie ein großer Markt werden. Experimente mit Neuro-Chips gibt es ja bereits. Und Menschen - wenn auch sehr wenige - die mit einem Mikrochip-Implantat ihre Autotür öffnen, sind Realität. Bleibt abzuwarten, wie schnell und in welchen Bereichen künstliche Intelligenz sich entwickelt.
KI übernimmt immer mehr Aufgaben. Auch kreative? Bleibt da noch Platz für den Menschen?
Schuttwolf: Ja, auf jeden Fall. Der Mensch behält seinen souveränen Platz. Zumindest in absehbarer Zukunft. Zuliefernde Arbeiten, zum Beispiel im Bereich Marketing und Audiovisuelle Medien, werden heute schon sehr effektiv von KI übernommen. Auch werden mehr und mehr Arbeitsplätze wie beispielsweise Texter, Konzeptioner und Illustratoren, durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz eingespart. Das stimmt schon. Aber der Mensch mit seinem tieferen emotionalen Verständnis, das sehr viele verschiedene Zusammenhänge, assoziative Querverbindungen und Kontext-Ebenen reflektiert, ist einer Maschine überlegen. Wie gesagt zumindest im Moment noch! Wenn wir die rasant schnelle Entwicklung von KI-Tools und deren erstaunliche Leistung beobachten, könnte ich mir vorstellen, dass eine KI in fernerer Zukunft die Aufgaben eines genialen Top-Kreativen auch übernehmen kann. Das heißt: auch wenn eine Maschine immer eine Maschine bleibt, wird man ihren kreativen Output irgendwann kaum mehr von der Arbeit eines kreativen Menschen unterscheiden können. Was nützt es, wenn man dann sagen kann: aber eine Maschine ist kein Mensch. Ja, stimmt aber es wird egal sein! Das soll jetzt nicht düster oder pessimistisch klingen, aber damit müssen wir uns auseinandersetzen. Der Geist ist aus der Flasche. Völliges Neuland.
Wie siehst du die Zukunft des Marketings? Immer digitaler oder Rückbesinnung auf das Echte?
Schuttwolf: Beides! Es wird ein Mix mit Schwerpunkt auf Digitalität werden. Aber - und hier wiederhole ich meine These - auch das sogenannte Echte wird teilweise künstlich simuliert werden. Letztlich muss die Frage gestellt werden, was wir unter echt verstehen wollen. Wenn ich z.B. einen komplexen, künstlichen Reiz durch VR, Hautsensoren usw. erzeuge, bleibt doch die Wahrnehmung und das Gefühl, das ich dabei habe, echt. Also könnte zukünftig ein analoges Feeling perfekt digital erzeugt werden. Im Bereich Marketing wäre es denkbar, exotische Erlebnisse wie zum Beispiel auf einem Plateau des Grand Canyons am Lagerfeuer zu sitzen, den Wind zu spüren und den entsprechenden Brandgeruch zu riechen, perfekt zu simulieren und in einem Themenpark zu vermarkten. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Science-Fiction-Bücher und -Filme haben dies schon lange umgesetzt. Ok, genug in die Zukunft gesponnen. Zusammenfassend kann man sicherlich sagen, dass menschliches Leben und damit auch Marketing immer weiter digital durchdrungen wird und dass dabei aber auch immer eine Gegenbewegung, eine Sehnsucht nach dem sogenannten Echten, hervorgerufen wird. Bleibt nur die Frage, was in ferner Zukunft das Echte ist. Ob allein die Wahrnehmung reichen wird, dass jemand subjektiv etwas als echt empfindet. Es bleibt spannend. Wir werden sehen.
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