Algorithmen, KI und präzise Methoden: Wie Mathematik das Marketing unterstützen kann
- 23.10.2024
- Allgemein

Prof. Dr. Mike Scherfner lehrt an der Hochschule Anhalt Mathematik und Theoretische Informatik und erklärt im Interview, wie Mathematik das Marketing unterstützen kann.
Wie lassen sich Konsumtrends statistisch vorhersagen, und welchen Einfluss hat Künstliche Intelligenz auf das Marketing der Zukunft? Prof. Dr. Bert Neumeister vom Studiengang Marketing & Kommunikationsmanagement der FH Kufstein Tirol spricht darüber mit Prof. Dr. Mike Scherfner, der Experte für Mathematik und Theoretische Informatik an der Hochschule Anhalt ist.
Scherfners Interesse für Mathematik wurde nach einem Besuch im Naturkundemuseum Salzburg geweckt, wo er durch Poster über die Arbeiten von Albert Einstein inspiriert wurde. Heute lehrt er Mathematik und Theoretische Informatik und berät Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrem Karriereweg. Neben seiner Professur ist er auch Buchautor.Wie genau Mathematik und Künstliche Intelligenz im Marketing eingesetzt werden können, verrät er im Interview.
Im Interview spricht er darüber, wie Mathematik und Künstliche Intelligenz das Marketing verändern – und welche Rolle der Mensch dabei noch spielen wird.
Wie kann Mathematik die Arbeit von Marketern unterstützen?
Prof. Dr. Mike Scherfner: Die Mathematik ist für viele klassische Wissenschaften, von der Biologie über die Physik bis zur Soziologie, ein wichtiges Werkzeug zu Modellierung – so überrascht es nicht, dass von ihr auch im modernen Marketing einiges zu erwarten ist. Viele Teilgebiete der Mathematik finden hier Anwendung, so wird beispielsweise Statistik verwendet, um große Mengen von Marktdaten zu analysieren. Dies hilft dabei, Trends zu identifizieren, Kundenverhalten zu verstehen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Insgesamt verwandelt Mathematik Marketing in eine datengestützte, präzise Wissenschaft, die strategische Entscheidungen ermöglicht und den Erfolg deutlich steigert.
Um es konkreter zu machen, möchte ich mich auf den Bereich der KI, die durch Algorithmen getrieben wird und bedeutend auf statistischen Methoden basiert, konzentrieren. Ein Teilbereich befasst sich mit Strukturen, die in wesentlichen Teilen unser Gehirn (und auch das von Tieren) als mathematisches Modell repräsentieren, das in der Form eines sogenannten Neuronalen Netzes vorliegt. Dieses ist so gestaltet, dass es anhand von Beispielen lernen kann – beispielsweise, um zwischen Hummeln und Kirschen zu unterscheiden. Auch für die Schöpfer dieser komplexen Strukturen ist oft nicht mehr erkennbar, was bei der Arbeit der Algorithmen im Detail passiert. Allerdings können wir recht gut feststellen, von welcher Präzision die Ergebnisse sind - ob also beim Zeigen des Bildes einer Kirsche wirklich „Kirsche“ als Antwort gegeben wird. Wir müssen aber nicht an den Unterschied zwischen Kirschen und Hummeln denken, denn Muster finden sich auch im Kaufverhalten und genau das hilft dem Marketer inzwischen bei seinen Entscheidungen.
Ein großes Thema ist die Black Box Kunde – weshalb wir etwas kaufen oder wie wir z.B. auf Werbebotschaften reagieren ist nicht vollständig erklärbar. Welche Antworten kann die Mathematik für solche Probleme anbieten?
Scherfner: Mathematik kann durch die Analyse großer Datenmengen Muster, wie zuvor beschrieben, im Kaufverhalten identifizieren; selbst wenn die genauen Beweggründe eines einzelnen Kunden oder einer Kundin unklar bleiben. Ferner ist KI in Teilen auch in der Lage Strukturen zu erkennen, die uns verborgen bleiben. So scheint es für Systeme zur Mustererkennung möglich zu sein, die Unterschiede beim Betrachten von Fotos von Netzhäuten in Bezug auf weiblich oder männlich zu erkennen. Eine Fähigkeit, die der menschliche Betrachter nicht hat, wie mir ein Spezialist zur Thematik mitteilte. Somit können wir inzwischen den Ergebnissen von KI in vielen Fällen ein gewisses Maß an Vertrauen schenken, sogar wenn uns der Weg dahin (siehe oben) und das Resultat nicht immer völlig klar sind.
Aber es geht natürlich noch mehr: Anstatt zu versuchen einzelne Kundenentscheidungen vollständig zu verstehen, kann die Mathematik Wahrscheinlichkeiten berechnen. So lässt sich zumindest abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Kunde oder eine Kundin auf eine bestimmte Art von Werbung anspricht oder ein Produkt kauft. Es lassen sich häufig übergreifende Trends erkennen, die gute Einblicke in das Verhalten ganzer Zielgruppen geben. Mit Algorithmen können Marketer Vorhersagen darüber treffen, wie bestimmte Kundengruppen auf Werbebotschaften reagieren werden. Diese Modelle basieren auf historischen Daten und helfen, zukünftige Reaktionen besser einzuschätzen.
Ist Künstliche Intelligenz eine Bedrohung oder eine Chance für Berufsbilder im Marketing?
Scherfner: Solche Fragen werden meistens (nach meiner Beobachtung bisher immer) so beantwortet, dass der Mensch (hier also der Marketer) am Ende der Sieger bleibt, dessen Fähigkeiten bis in alle Ewigkeit gebraucht werden. Ich bin da allerdings sehr vorsichtig. Wer sich die Geschichte der KI ansieht, stellt fest, dass es immer wieder gewaltige Sprünge gab, die nicht annähernd vorausgesehen werden konnten. Marketing wird ja nicht für Maschinen gemacht. Aus dieser Sicht werden also Menschen teil der Gesamtheit sein und evtl. auch weiterhin Entscheidungen treffen. Aber ob diese für ihre eigenen Ziele besser sein werden als die Entscheidungen von KI zur gleichen Thematik? Ich glaube nicht. Meine Vermutung hier ist, dass KI in nicht sehr ferner Zukunft diverse menschliche Arbeitskräfte ersetzt und dazu Dinge beherrschen wird, von denen wir heute noch nichts ahnen. Damit ist aber noch nichts Endgültiges über Nutzen oder Schaden von KI gesagt – das sollten wir die Zeit einfach machen lassen.
Wie können mathematische Fähigkeiten zukünftigen Marketingprofis dabei helfen, in ihrer Karriere erfolgreich zu sein?
Scherfner: Ich bin der Überzeugung, dass wesentliche Fähigkeiten vorhanden sein sollten, um die Grundlagen der jeweils aktuellen Technologien zu verstehen. Für die Methoden der KI sollte das spezielle Wissen über Stochastik (der Oberbegriff für Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie) sein, denn so kann man auch Denkfallen vermeiden und bekommt ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten, deren Bedeutung bereits oben erwähnt wurde. Durch den regelmäßigen Umgang mit Mathematik, und sei es nur das regelmäßige Überschlagen von Alltagsrechnungen, bekommt man eine Art Intuition, die einen auch rechtzeitig vor Fehleinschätzungen warnen kann – was nicht nur im Marketing hilfreich ist.
Wie kann man Freude an der Beschäftigung mit Mathematik vermitteln?
Scherfner: Ganz ehrlich: unser Gehirn ist von seiner Entwicklung her nicht wirklich scharf auf Mathematik, denn es wurde für das Lösen anderer Probleme geschaffen. Nun könnte gesagt werden, dass in der Mathematik ja immerhin auch Probleme gelöst werden. Absolut. Aber hier geht es meist wirklich um sehr komplexe Sachverhalte, deren Verarbeitung viel Energie benötigt (das Gehirn ist ohnehin ein großer Fan von Glukose). Das Verbrauchen von Energie ist aber nicht sehr beliebt, denn unser inneres Programm stammt aus einer Zeit, als Energie Mangelware war. Und dann das Wenige zum Lösen abstrakter mathematischer Probleme verwenden? Eher nicht. Daher vermute ich, dass die Liebe für Mathematik einfach eine Art (wunderbarer) Defekt ist, den man für sich nicht erfinden kann. Dennoch kann sich der Freude sicher genähert werden, beispielsweise durch ein gutes Vorbild. Wer Begeisterung empfindet kann ansteckend wirken. Ferner erzeugt das Finden von Lösungen ein wenig Glück (Stichwort: Belohnungssystem). Gleichfalls ist es gut zu erkennen, wie man in seiner eigenen Praxis mit der Anwendung von Mathematik Erfolge erzielen kann.
Woran forschen Sie gerade an der Hochschule Anhalt?
Scherfner: Es gibt zwei Gebiete, in die ich seit meiner Studienzeit verliebt bin: Geometrie und Relativitätstheorie (um die groben Begriffe zu nennen), und in diesen Bereichen arbeite ich weiterhin. Besonders interessieren mich mathematische Überlegungen, die zu sog. kosmologischen Modellen führen, in denen Zeitreisen möglich sind. Über die Jahre befasste ich mich zunehmend mit didaktischen Themen und habe hierzu auch kürzlich wieder mit einem Mitarbeiter eine Arbeit verfasst. Das Thema bleibt spannend! In meiner Freizeit schreibe ich mit lieben Kollegen immer wieder Bücher zur Mathematik, wie beispielsweise ein Werk zur Mathematik im Bachelorstudium in drei Bänden (siehe Link unten). Ganz aktuell arbeite ich mit einem Freund an einem Buch zu mathematischen Aspekten im Straßenverkehr. Dieses Buch zeigt auf recht humorvolle Art, wie viel Mathematik eigentlich in Dingen wie Kurven, Getrieben und Verkehrsregeln steckt und es vermittelt viel von dem, was man über Mathematik in der Schule und zum Studienstart wissen will.