Kultur mitgestalten: Wenn Zivilgesellschaft laut wird
- 03.06.2025
- Allgemein

Prof. (FH) Dr. Verena Teissl hat einen Beitrag im internationalen Fachbuch The Routledge Companion to Governance in the Arts World veröffentlicht.
Wer bestimmt, wie Kultur gemacht wird? Professorin (FH) Dr. Verena Teissl zeigt in einem internationalen Fachbeitrag, wie engagierte Gruppen hinter den Kulissen mitreden, mitgestalten – und sogar politische Veränderung anstoßen. Ein Blick in ein oft übersehenes Stück Kulturgeschichte.
Wie entsteht Veränderung im Kulturbetrieb – und welche Rolle spielen zivilgesellschaftliche Akteure dabei? Prof. (FH) Dr. Verena Teissl, Professorin für Kulturmanagement und Kulturwissenschaften an der FH Kufstein Tirol, ist dieser Frage gemeinsam mit der kanadischen Wissenschaftlerin Wendy Reid nachgegangen. Ihr gemeinsamer Beitrag Cultural Governance as Field Governance ist Teil des neuen Fachbuchs The Routledge Companion to Governance in the Arts World, das weltweit Expert:innen zum Thema Kunst und (kulturpolitische) Steuerung versammelt.
Drei Sektoren, viele Logiken
Im Zentrum des Beitrags steht ein Bereich, der bisher wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit im deutschsprachigen Raum erfahren hat: die zivilgesellschaftlichen Interessensvertretungen im Kunst- und Kulturbereich. Als dritter Sektor neben Markt und Staat folgen sie eigenen Logiken – und leisten laut Teissl einen essenziellen Beitrag zur kulturellen Vielfalt.
Die Zivilgesellschaft setzt andere Diskurse, war und ist oft Vorreiter für gesellschaftskritische Themen
Professorin (FH) Dr. Verena Teissl
„Die Zivilgesellschaft setzt andere Diskurse, war und ist oft Vorreiter für gesellschaftskritische Themen“, so die Professorin. In ihrem Beitrag zeigen Teissl und Reid anhand historischer und aktueller Beispiele aus Österreich auf, wie sich die freie Szene in Interessenvertretungen organisiert hat, um Rahmenbedingungen aktiv mitzugestalten – etwa durch strategische Öffentlichkeitsarbeit, politische Verhandlungsarbeit oder gezielte Allianzen.
Dabei geht es nicht nur um bessere Bedingungen für Kunst- und Kulturschaffende, sondern auch um einen tiefergehenden Anspruch: die politische Kultur selbst mitzugestalten. Interessensvertretungen agieren als kollektive Akteure, die durch ihr Wirken demokratische Prozesse stärken, institutionellen Wandel anstoßen und mitentscheiden wollen, wie Governance verstanden und umgesetzt wird – jenseits symbolischer Partizipation.
Forschung trifft Praxis
Das Thema ist für Teissl nicht nur ein akademisches: Sie war selbst über 20 Jahre lang im Kulturbetrieb tätig, unter anderem für die Viennale. Ihre Forschung basiert auf Interviews mit aktuellen Geschäftsführer:innen zivilgesellschaftlicher Interessenverbände sowie intensiver Archivarbeit mit Materialien der KUPF, der Kulturplattform Oberösterreich, die 1986 als erste formalisierte Vertretung entstand. Diese Einblicke verdeutlichen: Die heutigen Strukturen sind Ergebnis langjähriger Prozesse und historischer Umbrüche, insbesondere in den 1970er und 1980er-Jahren. Unter der Regierung von Bruno Kreisky kam es zu einem neuen Kulturverständnis, das in der Folge auch zur Anerkennung und Etablierung der aufkommenden zivilgesellschaftlichen Kulturinitiativen führte.
Von der Arena zu Instagram
Die Studie benennt sechs Strategien, mit denen Interessensgruppen in Österreich bis heute erfolgreich Feldgestaltung betreiben – also Einfluss auf die Spielregeln im Kulturbereich nehmen. Dabei geht es nicht nur um politische Teilhabe, sondern auch um Fragen des Generationenwechsels und der sozialen Absicherung. Gerade die COVID-19-Pandemie habe – so Teissl – deutlich gemacht, wie prekär viele Strukturen seien, aber auch, welchen gesellschaftlichen Beitrag Kulturschaffende leisten.
„Es braucht mehr als Idealismus“, sagt die Forscherin. „Fair Pay und strukturelle Absicherung sind keine Zugaben, sondern Grundlage für nachhaltiges kulturelles Engagement.“
Internationale Relevanz
Dass der Beitrag im Routledge Companion to Cultural Governance erschienen ist – Teil einer renommierten internationalen Sammelbandreihe, die zentrale Themen verschiedenster Fachgebiete beleuchtet – ist eine besondere Auszeichnung. Das Buch analysiert Governance im Kunst- und Kulturbereich auf mehreren Ebenen – von einzelnen Führungspersonen über Vorstände bis hin zu politischen Rahmenbedingungen – und widmet sich aktuellen Herausforderungen wie Postkolonialismus, Diversität oder toxischer Führung.

Teissl betont: „Der österreichische Weg der Interessensvertretung kann Vorbild sein – etwa in der konsequenten politischen Partizipation. Das darf man nicht mit symbolischer Beteiligung verwechseln, wie das Studien aus anderen Ländern kritisch erforscht haben. Echte Mitgestaltung braucht Verbindlichkeit, wichtige Verhandlungsergebnisse sollen möglichst gesetzlich verankert werden, genauso wie einst die Kulturfördergesetze den Sektor etablierten.
Kulturelles Engagement bleibt politisch
Für Teissl ist klar: Die Forschung kann – und muss – einen Beitrag leisten, um den gesellschaftlichen Wert von Kunst und Kultur sichtbar zu machen. In Kooperation mit dem Zentrum für Nonprofit-Organisationen und Social Impact der WU Wien arbeitet sie derzeit an Projekten zur Wirkungsforschung, die den Einfluss kultureller Angebote auf gesellschaftliche Teilhabe, Empathie oder interkulturelles Verständnis messbar machen will.
„Kunst und Kultur sind kein Luxus. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Identität, Spiegel von Konflikten – und manchmal auch Motor für Veränderung.“
Links:
- The Routledge Companion to Governance in the Arts World | Routledge / Taylor & Francis Group
- Sport-, Kultur- & Veranstaltungsmanagement | vz